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Das Grüne ist die dominante Farbe der Hochsteiermark, eingebettet zwischen hoch aufragenden, teils felsigen Gipfeln. Das ist auch in Eisenerz nicht anders, wo Wälder die Landschaft ausmachen, bis auf eine riesige Pyramide aus rost-braunem Fels, der hinter der Kirche die Blicke vereinnahmt: der Erzberg. Jahrhunderte lang war der Erzberg der Brotlaib für die lokale Bevölkerung, der Eisenerz-Abbau benötigte Tausende Arbeitskräfte. Die Hochblüte der Eisen- und Stahlindustrie der Steiermark ist zwar schon vorüber, dennoch würden die Erzvorräte in Abhängigkeit sonstiger Rahmenbedingungen in Europa für diesen Tagebaubetrieb für einige Jahrzehnte reichen.
Steht man heute am Fuße des steierischen Erzbergs, so beeindrucken die 30 Stufen von 24 Meter Höhe wie seit je her. Auch die Teilnehmer des jährlichen Erzbergrodeos, bei dem 1500 Wagemutige die Etagen des Berges auf ihren Trial-Motorrädern besiegen wollen. Könnte man von Eisenerz über den Gipfel auf die andere Seite des Erzbergs blicken, würde man eine weitere Facette der Entwicklungsgeschichte erspähen: das Zentrum am Berg (ZaB).
Das Forschungszentrum ZaB startete 2015 als Praxisstätte für die Studierenden der Montanuniversität Leoben. Das Herzstück der Anlage ist ein verzweigtes Tunnel- und Stollensystem, in dem Forschung und Entwicklung unter realen Bedingungen betrieben werden. Das Besondere sind die je 400 Meter langen, 2-röhrigen Straßen- und Bahntunnel, die unter geltenden Standards errichtet wurden.
Robert Galler – Vordenker unter Tage
Robert Galler, Professor an der Montanuniversität Leoben, gilt als der Initiator des ZaB. Nach Abschluss seiner Dissertation über maschinelle Vortriebe im Tunnelbau und seinen ersten Arbeitserfahrungen im Tunnelbau am Semmering, erwarb sich Robert Galler recht schnell eine breite Wissens- und Erfahrungsbasis an zahlreichen Tunnelbaustellen in Österreich und im Ausland. Dabei sind ihm der eine oder andere Mentor in Erinnerung geblieben, von denen er das praktische Handwerk des Tunnelbauers erlernt hat. Mit der Projektleitung für den Brenner-Basistunnel übernahm Galler eine große Aufgabe, beinhaltete dies die Koordination mehrerer Firmen im Rahmen der Genehmigungsplanung. Von 2004 und 2007 wird an den Plänen gearbeitet bis der Tunnel schließlich “baureif” wurde. Als man ihn fragt, ob er in Leoben eine Professur antreten möchte, konnte er nicht widerstehen.
Seine erste große Initiative am Lehrstuhl Subsurface Engineering war ein Tunnellabor. Theoretisches Wissen ist schön und gut, aber was nützt es, wenn Absolventen die Praxis nicht kennen? Die Idee findet schnell Anklang, unter anderem beim ehemaligen Finanzminister und Industriellen Hannes Androsch, der das Projekt neben vielen anderen positiv einwirkenden Proponenten als Mentor im Rahmen der Projektentwicklung und -umsetzung stets unterstützt hat.
“Mein Ziel war es, den Studierenden eine Art Bauhof zu geben, wo sie Hands-on Erfahrungen im Tunnelbau sammeln können. Vom Bedienen von Maschinen des Tunnel- und Stollenbaus, über das Anbringen von Sprengladungen bis zum Anker bohren”, sagt Robert Galler, “so kann jeder Prozess im Tunnelbau mit den Studierenden beübt werden. Zum Beispiel Vermessen. Das ist Gold wert.”
Die Lehrstätte für Studierende ist Robert Galler allerdings zu wenig. Der Tunnelbau, ein österreichischer Exportschlager, benötigt Fachkräfte, die im Tunnel die praktischen Arbeiten vorantreiben. Die Idee des Lehrberufes wurde geboren und wird nun seit mehreren Jahren mit Hilfe der Baubranche angeboten. Die praktischen Lehrveranstaltungen der Berufsschule werden bundesweit am ZaB absolviert.
Das Zentrum am Berg fungiert vor allem als Forschungszentrum und praktische Lehrstätte. Ein weiterer Aspekt ist das Thema Sicherheit. Schon von Anbeginn des ZaB absolvierten Studierende Sicherheitsübungen, wie zum Beispiel mit dem Selbstretter in einer bestimmten Zeit im dichten Rauch zum Fluchtcontainer zu gelangen. Aber Robert Galler entwickelt die Idee weiter und etabliert das ZaB als Trainingszentrum für das Tunnelwesen. Speziell Blaulichtorganisationen profitieren von praxisnahen Übungsbedingungen. Fahrzeug-Attrappen, Dummies und andere Objekte können zu Übungszwecken genutzt werden, um Löschen von Bränden und die Bergung von Unfallopfern zu üben. Das Besondere dabei ist, dass die Bahn- und Straßentunnel genau jene sind, wie sie in ganz Österreich zu finden sind. Heute werden allein mit dem ÖBFV (Österreichischer Bundesfeuerwehrverband) 30 Übungstermine pro Jahr angeboten. Dazu kommen gemeinsame Übungen von Polizei, Rettung und Feuerwehr für Szenarien wie eine Massenkarambolage im Tunnel. Das Orten von Personen im Tunnel ist eine nicht zu unterschätzende Herausforderung.
Das Üben von Rettungseinsätzen ist aber nur eine Seite der Sicherheit. Die andere ist: “Was passiert mit der Tunnel-Infrastruktur, wenn es zu einem Unfall, z.B. Brand im Tunnel, kommt?” Die Materialforschung hat am ZaB einen großen Stellenwert, denn Technologie spielt im Tunnelbau eine enorm wichtige Rolle bei der Realisierung von Projekten.
Das Department MRE – Mineral Resources Engineering, wo der Tunnelbau angesiedelt ist, deckt auch den Bergbau und die Aufbereitung von mineralischen Rohstoffen ab. Auch hier ist die Bandbreite der Themen eine ähnlich große wie im Bereich Tunnelbau: vom Hands-on Training, über die Sicherheit bis hin zu Forschungsprojekten. Ein aktuelles Forschungsprojekt ist die Nutzung von ferngesteuerten bzw. autonomen Fahrzeugen zur Unterstützung diverser Untertage-Prozesse. Das kann das Erkunden von Stollenbedingungen sein oder das Sammeln von atmosphärischen Daten, aber auch der Aufbau von mobilen Kommunikationsnetzen. In Zukunft wird Bergbau von einer immer größer werdenden Flotte von autonomen Fahrzeugen und Robotern semi-autonom betrieben werden, und da ist eine konstante, leistungsfähige Datenverbindung unerlässlich.
Arbeitssicherheit beinhaltet aber nicht nur Unfallverhütung, sondern auch die Kenntnis und Vermeidung von Gefahren. Eine davon ist Quarzstaub, der beim Tunnelbau auftritt und aufgrund seiner fatalen Folgen von den Gesundheitsbehörden überwacht wird. Die Messung der Partikeldichte im Labor ist zwar gut aber für die Praxis aus heutiger Sicht nicht mehr ausreichend, da dieser Vorgang mehrere Tage in Anspruch nimmt. Echtzeit-Daten aus dem Tunnel mit Hilfe von Sensoren wäre die Antwort, aber auch Wassernebelanlagen, die lungengängigen Staub binden können, wären denkbar. Dies ist ein weiterer Gegenstand der Forschung am ZaB.
Zukünftige Sicherheitsszenarien beinhalten auch Cybersecurity, meint Robert Galler. Tunnel und Tunnelsysteme werden nicht mehr lokal überwacht und gesteuert, sondern meist von zentralen Betriebsleitzentralen. Und das bietet Einfallstore, die IT-Infrastruktur anzugreifen bzw. in diese einzudringen und in weiterer Folge z.B. das Licht oder die Ventilation abzudrehen.
Das Zentrum am Berg (ZaB) ist eine weltweit führende unterirdische Forschungs- und Ausbildungsanlage, die von der Montanuniversität Leoben in Österreich betrieben wird. Es besteht aus einem groß angelegten Tunnelsystem, das reale Bergbau- und Tunnelbauumgebungen nachbildet. Forschende, Industriepartner und Einsatzkräfte nutzen die Anlage, um Technologien zu testen, Experimente durchzuführen und kritische Szenarien unter kontrollierten, aber realistischen Bedingungen zu simulieren.
Im ZaB konzentrieren sich die Projekte auf Sicherheit, Infrastruktur und Innovation im Tunnel- und Bergbau. Dazu gehören Tests von Tunnelbohrmaschinen, Felsmechanik, Belüftungssystemen und digitalen Überwachungstools. Darüber hinaus werden regelmäßig Brand- und Evakuierungsübungen, Rettungstrainings und Einsatzsimulationen durchgeführt, wodurch die Anlage zu einem wichtigen Zentrum für angewandte Sicherheitsforschung und praxisorientierte Ausbildung wird. Ein vergleichbares Institut ist die Versuchsstollen Hagerbach AG.
Das ZaB bietet eine einzigartige Umgebung, in der Theorie und Praxis aufeinandertreffen, und ermöglicht das sichere Testen neuer Technologien, Materialien und Methoden, bevor diese in Großprojekten eingesetzt werden. Durch realistische Trainings- und Experimentiermöglichkeiten trägt die Einrichtung zur Verbesserung der Sicherheits-, Effizienz- und Innovationsstandards der Branche bei. Zudem fördert sie die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Industrie und Behörden und stärkt damit Europas Rolle in der Weiterentwicklung des unterirdischen Ingenieurwesens.
Zentrum am Berg (ZaB)
📍Eisenerz, Steiermark
Leitthema: „Hands-on“ lernen und forschen unter realen Bedingungen
Die Legende vom Erzberg erzählt von einem Wassermann, der in den Gewässern um die Siedlung im Tal sein Unwesen trieb. Als die Männer des Dorfes dem Wassermann eine Falle stellten und ihn überrumpelten, bot er ihnen für die Freilassung einige Kilo Gold, hunderte Kilo Silber, oder Eisenerz für die Ewigkeit. Die Männer wählten das Eisen, da es die Zukunft ihrer Kinder und deren Kinder sichern würde. Die Vorkommen haben sich nach mehreren Jahrhunderten des Abbaus als endlich erwiesen, aber vielleicht kann die Forschung mit dem ZaB eine neue Zukunft abseits des Eisenerzes gestalten. Die Möglichkeiten sind vielfältig, davon ist Robert Galler überzeugt.
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Subsurface Engineering ist ein interdisziplinäres Fachgebiet, das sich mit der Planung, dem Bau, dem Betrieb und der Instandhaltung von unterirdischen Bauwerken und Prozessen befasst. Es umfasst den Tunnelbau, den Bergbau und die Nutzung des unterirdischen Raums und integriert dabei Geologie, Geotechnik, Felsmechanik und Sicherheitstechnik. Die Disziplin beschäftigt sich sowohl mit Infrastrukturen – wie Verkehrstunneln und Kavernen – als auch mit der Rohstoffgewinnung und legt den Schwerpunkt auf Stabilität, Effizienz und Nachhaltigkeit. Moderne Subsurface Engineering-Ansätze beinhalten zunehmend digitale Technologien, Automatisierung und Risikomanagement zur Optimierung unterirdischer Projekte. (2)
References:
(2) Hudson, J. A., & Feng, X.-T. (2015). Rock Engineering Risk. CRC Press. https://doi.org/10.1201/b18847